Gnom Peng
Kambodscha
Kurz nach Sonnenaufgang ertönte plötzlich laute Popmusik und wir mussten blinzeln, als helles Scheinwerferlicht die Dunkelheit verdrängte. Eine fahrende Discokugel kam quietschend um die Ecke geschlittert – es war der heißersehnte Bus, der uns endlich von unserem Kälte-Leid erlöste. Hastig drängen wir uns in das in knalligen Farben erstrahlende Innere. Das Hochgefühl hielt allerdings nur bis kurz vor die Grenze Kambodschas. Dort sollten ganz andere Probleme auf uns warten, als eine ehrgeizige Klimaanlage.
Plötzlich hielt der Bus und ein paar streng aussehende Wachmänner befahlen uns in ruppigem Ton, auszusteigen. Der Grund dafür wurde und nicht genannt und so stellten wir uns ratlos vor einem kleinen Imbiss auf. Ein besonders schlechtgelaunter Mann steuerte auf uns zu. „Give me your bus tickets and passports!” Wir ahnten nichts Böses und drückten ihm die gewünschten Unterlagen widerstandslos in die fordernd ausgestreckte Hand. Im Gegenzug knallte er ein Formular, mit dem wir das Kambodscha-Visum für 50 Dollar beantragen sollten, auf den wackligen Holztisch vor uns. Eifrig fingen wir an, es auszufüllen, als eine Gruppe von Amerikanern sich einschaltete. „Girls, haven’t you been warned? This is a scam to get your money. Just apply for the visa at the border. It shouldn’t cost more than thirty dollars. And no matter what you do, never hand them your passport.”
Panisch schauten wir uns an. Das lief ja bereits hervorragend. Umgehend bestürmten wir die Männer, von denen einer grimmiger aussah als der andere. Wir sahen uns schon in einem thailändischen Gefängnis, ohne die Möglichkeit, uns ausweisen zu können, als einer der Männer endlich Gnade walten ließ und uns die Pässe wiedergab. Nur die Bustickets blieben verschwunden. Auch schien der Bus uns nicht weiter zur Grenze fahren zu wollen.
Dana reichte es so langsam. Sie fragte einen der Herumstehenden, was denn los sei. „You wanna order?“ lachte dieser und zückte seinen Block. Er war offenbar der Kellner des Imbisses. Dana warf ihm einen vernichtenden Blick zu. In diesem Moment befahl die füllige Köchin, wir sollten uns alle hinsetzen, es dürfe keiner stehen. „Why?“, fragte Christa perplex. „No English!“, brüllte sie durch den stickigen Raum. Ein Schwarm Fliegen stob erschrocken auf. Die strengen Männer grummelten zustimmend. Geschlagen ließen wir uns auf die kleinen Schemel fallen.
Die meisten Mitreisenden hatten inzwischen das Formular brav ausgefüllt und die Gebühr in bar bezahlt. Nach und nach wurden sie von Transportern abgeholt. Wir gaben jedoch noch nicht auf und fragten weiter nach unseren Tickets. „You wanna order?“, war die einzige Antwort, die wir erhielten. Endlich erblickten wir den Unheiltäter, der sie uns abgenommen hatte. Hastig sprangen wir von den unbequemen Schemeln auf. Meiner ließe es sich natürlich nicht nehmen, mit einem lauten Dröhnen auf den Boden zu fallen.
Jetzt reichte es auch der Köchin wirklich. „Sit down”, rief sie ungehalten und fuchtelte zur Untermalung ihrer Worte mit dem Kochlöffel vor unseren Nasen herum. Auf einmal war sie der englischen Sprache wieder mächtig. „Can we have our tickets back?“, baten wir den Mann verzweifelt. Dieser betrachtete uns genüsslich und rieb sich den imposanten Schnurrbart. „No have. Tickets on way to Bangkok.“ „What?! Why are our tickets on their way to Bangkok?”
“You wanna order?”, sprang der Kellner mit dem Block eifrig dazwischen, nur um danach laut anzufangen zu lachen. Auch die Köchin stimmte mit ein. Wir gaben auf und mussten wohl oder übel damit leben, dass unsere Tickets weg waren. Dass sie eine Reise nach Bangkok angetreten hatten, wagten wir allerdings zu bezweifeln. Wir schlossen uns der kleinen Gruppe an, die sich ebenfalls geweigert hatte, zu bezahlen, und schulterten unsere Taschen.
Genau wie die Wachleute zeigte auch die Sonne kein Erbarmen. Der Schweiß lief uns in Strömen den Körper herab und das Gepäck fühlte sich mit jedem Meter schwerer an. Wir wussten noch nicht einmal, wie weit wir von der Grenze entfernt waren. Kurz vor dem Aufgeben erblickten wir schließlich das rettende Tor und mussten wirklich nur dreißig Dollar bezahlen.
Allerdings waren wir uns nicht mehr ganz so sicher, dass es eine kluge Entscheidung gewesen war, zwanzig Dollar sparen zu wollen. Vor allem, da ich noch einen Aufpreis zu begleichen hatte, da ich über kein Passfoto verfügte. Ein Foto wurde dann aber trotzdem nicht gemacht.
Als drei schweißgebadete Häufchen Elend betraten wir den Boden Kambodschas. Ohne viel Hoffnung schauten wir nach unserer fahrenden Discokugel. Schließlich hatten wir bis ja Siem Reap gebucht. Aber da unsere Tickets sich gerade ohne uns in Bangkok vergnügten, schlossen wir uns mit einem Pärchen zusammen und mieteten für die restlichen drei Stunden ein Taxi. Immerhin mussten wir pro Person nur zehn Dollar zahlen und das Gefährt stellte sich als einigermaßen komfortabel heraus.
Die Fahrt führte durch grüne, unberührte Landschaften und entschädigte uns für die bisher recht turbulenten Ereignisse unserer Reise. Für den Fahrer schien nur eine Verkehrsregel zu gelten: So viel wie möglich auf die Hupe zu drücken. Er hupte so hingebungsvoll, dass ein Motorrad-Fahrer fast in den nächsten Graben gefahren wäre. Wüste Beschimpfungen wurden uns hinterhergerufen. Das störte unseren Chauffeur aber nicht im Geringsten und er hupte nun energisch eine Herde Kühe an, die sich um einiges gelassener verhielt. Die Bäume, denen seine Hupe als Nächstes Aufmerksamkeit schenkte, zeigten jedoch keine erkenntliche Reaktion. Immerhin wusste nun halb Kambodscha, dass wir auf dem Vormarsch waren.
Siem Reap erwies sich als wunderschöne kleine Stadt, in der der französische Einfluss noch deutlich spürbar war. Sie sonnte sich deutlich im Glanz, gerade erst zur viertbesten Stadt für Touristen von TripAdvisor’s Travelers’ Choice Awards gewählt worden zu sein. Die Jury hatte aber wahrscheinlich nicht den Bus für ihre Anreise gewählt.
Mithilfe eines Tuk-Tuk-Fahrers (die motorisierten Rikschas waren wirklich nach dem Geräusch, das sie verursachen, benannt) fanden wir ein sauberes sowie zentrales Hotel. Sofort wurde uns die wichtigste Regel erklärt: „No local girls in your room.” Das konnten wir gerade noch verkraften. Der freundliche Fahrer wartete sogar auf uns und nachdem unser Gepäck im Zimmer verstaut war, fuhr er uns zu einem französischen Restaurant, in dem wir den bisher besten Bananen-Milkshake serviert bekamen. Das sollte wirklich etwas heißen, denn Dana und ich hatten uns selber zu Bananen-Milkshake-Experten erklärt. Es verging kein Tag, an dem wir nicht mindestens einen neuen probieren.
Der Weg zurück zur Unterkunft führte durch die Old Market Area. Überall wimmelte es von Essensständen, an denen von Maden über Skorpione bis hin zu Spinnen alle möglichen Gaumengenüsse angeboten wurden. Daneben bildeten die nobel eingerichteten Restaurants und stylischen Szenebars einen scharfen Kontrast.
Am nächsten Tag wollten wir zu einem der zwei schwimmenden Dörfer der Umgebung mit dem klangvollen Namen Kompong Khleang. Dieses sollte angeblich das Schönere der beiden sein. Es gelang uns sogar, einen Tuk-Tuk-Fahrer für den Tag zu mieten. Nach der langen Fahrt wartete jedoch eine unangenehme Überraschung auf uns. Es sollte 50 Dollar kosten, mit einem winzigen, halb verrotteten Holzkahn durch das schwimmende Dorf zu paddeln.
Alle lang erprobten Verhandlungskünste erwiesen sich als unfruchtbar und wir beschlossen, es bei dem anderen Dorf mit dem nicht minder klangvollen Namen Kompong Phluk zu probieren. Der Fahrer ließ uns deutlich spüren, dass er von dieser Idee recht wenig hielt. Sobald sich eines der vielen Löcher im Asphalt vor uns auftat, drückte er besonders fest auf das Gas und lenkte forsch auf den Abgrund zu, sodass wir schmerzhaft an die Decke der Rikscha knallten. Aber auch in Kompong Phluk nannte der Ticketverkäufer uns einen anderen Preis als der, der im Prospekt ausgeschrieben war.
Als Dana ihn darauf hinwies, meinte er nur: „Different boat.“ „And why can’t we take the different boat?” „Too dangerous“ lautete die trockene Antwort. „Why do you even offer such a tour when it is too dangerous?“ Daraufhin lachte er nur. Wahrscheinlich wurde diese Tour für den Fall angeboten, dass das Alligatorenfutter ausging. Wir gaben klein bei und zahlten den höheren Preis, da wir uns zumindest ein schwimmendes Dorf ansehen wollten.
Unser Guide war jünger als wir und mit strahlender Begeisterung bei der Sache. Das Wasser war unglaublich dreckig, und die Häuser vorwiegend kleinen Hütten, die so schief auf ihren Pfählen thronten, dass man befürchten musste, sie würden jeden Moment ins tiefe Nass stürzen. Von innen waren sie jedoch alle bunt geschmückt, verfügten über einen Fernseher und die Bewohner schaukelten entspannt in ihren Hängematten.
Die Alligatorenfarm stellte sich als kleines Becken heraus, in dem mehr Müll als Alligatoren vor sich hindümpelte.
Nach der obligatorischen Zeit im Souvenirshop – in dem natürlich alles aus Krokodilhaut angefertigt war – erzählte der Guide uns, dass sehr viele bei einer großen Flut ums Leben gekommen seien und sie ein Waisenhaus gegründet hätten. Man solle den Kindern jedoch kein Geld geben, da diese davon nur Alkohol und Zigaretten kaufen würden – in Kambodscha fragte keiner nach dem Alter, solange das Geld stimmte – stattdessen könnten wir Lebensmittel kaufen. Wir besorgten also einen 50-Kilogramm-Sack Reis für 50 Dollar und noch ein paar Süßigkeiten, die wir an die Kinder verteilen durften. Diese wirkten aber recht unbeeindruckt. Anscheinend gab es doch einige spendable Touristen. Unser Guide freute sich aber dafür umso mehr, schoss strahlend ein Foto nach dem anderen und meinte, beim nächsten Mal sollten wir unbedingt unsere „Boyfriends“ mitbringen.
Nach einer wieder recht unsanften Heimfahrt beschlossen wir, dass wir eine Massage mehr als verdient hatten. Da ich nur eine Fußmassage haben wollte, beschloss ich, mich vorher nicht zu rasieren. Ungünstigerweise bezog die eifrige Masseuse aber meine gesamten Beine mit ein. Streng hob sie ihre Augenbraue und blickte mich kritisch an. „Where do you come from?” „Germany.” „Girls don’t shave in Germany? You are very hairy. “ Nachdem nun eine vertrauensvolle Basis der Freundschaft zwischen uns geschaffen war, konnte ich mich ganz entspannt der Massage hingeben. Dana und Christa versuchten mehr oder weniger erfolgreich ein Lachen zu unterdrücken.
Unser immer noch schlecht gelaunter Tuk-Tuk-Fahrer holte uns in den frühen Morgenstunden vom Hotel ab. Die riesige Tempelanlage, für die Kambodscha so berühmt war, Angkor, konnten wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Die Anlage erstreckte sich über 200 km² und beinhaltete die Überreste des Khmer-Imperiums vom 11. bis 15. Jahrhundert. Einer der berühmtesten Tempel, Angkor Wat, war das größte religiöse Bauwerk der Welt.
Für nur 20 Dollar konnten wir uns die wirklich sehr beeindruckende Tempelanlage bestaunen. Man fühlte sich in ganz unterschiedliche Welten versetzt, da jeder Tempel anders gestaltet war. Ta Phrohm hatte als Filmkulisse für Tomb Raider gedient und übte mit seinen Ruinen, die von riesigen Baumwurzeln zusammengehalten wurden, einen ganz besonderen Zauber aus.
Leider verloren wir zwischendurch eine nicht unbeachtliche Menge an Zeit damit, unseren Tuk-Tuk-Fahrer zu suchen. Besagter Fahrer nutzte nämlich jede noch so kleine Pause, um möglichst abseits zu parken und in seiner eigens dafür mitgebrachten kleinen Hängematte ein Nickerchen einzulegen. Wir wären schneller gewesen, wenn wir die Anlage direkt zu Fuß erkundet hätten. Jedes Tuk Tuk glich dem anderen, und mit schwindender Motivation liefen wir die langen Reihen entlang, bis wir unseren Fahrer endlich laut schnarchend ausfindig machen konnten.
Abends vor unserem Hotel angekommen, nannte er uns auf einmal den doppelten Preis. Berechnet er extra, weil wir seinen Mittagsschlaf gestört hatten? Wir weigerten uns standhaft mehr zu zahlen und machten uns auf den Weg zu unserem Zimmer. Allerdings hatten wir die Rechnung ohne den Fahrer gemacht, der auf einmal über eine unglaubliche Energie verfügte und zu der Rezeption hastete, um mit wilden Gesten auf den Mitarbeiter einzureden und mit wilden Gesten auf uns zu zeigen.
Der Rezeptionist zögerte auch nicht lang, sprang von seinem Stuhl auf und versperrte uns den Weg zur Treppe. Nach einer heftigen Diskussion begleitet von zum Glück unverständlichen Beschimpfungen des Fahrers gaben wir klein bei und zahlten die zusätzliche Summe. Danach konnte uns nur noch eins helfen: Bananen-Milkshake!
Am letzten Morgen in Siem Reap holte uns ein Auto mit überschaubarem Stauraum ab, um uns zum Bus nach Phnom Penh, der Hauptstadt Kambodschas, zu bringen. Allein der Name versprach schon Eleganz, Charme und Glamour. Das Gefährt war bereits gut gefüllt, als es vor einem weiteren Hotel hielt. Aber kein Problem, konnte man sich schließlich auch zu zweit auf einen Sitz quetschen. Nur für Dana ließ sich jetzt bei bestem Willen kein Platz mehr finden. Da sie aber nicht stehen durfte, hockte sie sich in den Mittelgang, mit jeweils einer halben Pobacke auf die Sessel zu ihrer Seite und musste den Rest der Fahrt mehr schwebend als sitzend verbringen.
Endlich im Bus angekommen, ließ sie sich mit einem erleichterten Seufzer auf den nächsten Sitz fallen. Päng! Mit einem lauten Knall brach dieser nach hinten weg und Dana fiel mit einem kleinen Schmerzensschrei hinterher. Der Bus gehörte wohl zum älteren Semester. Kein einziger Sitz befand sich mehr in einer aufrechten Position, alle lehnten sich müde aneinander und boten einen äußerst traurigen Anblick.
Während der achtstündigen Fahrt hielt der Fahrer auch an den einsamsten Ecken und ließ immer wieder Leute einsteigen, sodass der Bus sich schnell füllte. Irgendwann mussten die Mitreisenden sogar mit dem gebrochenen Stuhl vor mir vorliebnehmen, und ihr Gewicht verteilte sich angenehm auf meine Beine. Meine Armlehne hatte irgendwann auch keine Lust mehr auf die nicht enden wollende Fahrt und fiel gelangweilt ab.
Als wäre das noch nicht genug, wollte nun auch der Himmel seinen Beitrag leisten. Es fing an, aus vollen Kübeln zu schütten, und am undichten Fenster neben mir blubberten äußerst lebhaft immer größere Mengen an Schlammwasser hoch und tropften auf meine Beine. Immerhin waren diese inzwischen nicht mehr haarig. Wer brauchte schon einen Fernseher, wenn einem solche Live-Unterhaltung geboten wurde?
An uns zogen Autos beladen mit Käfigen vorbei, in die entweder Hunde oder Ratten gestopft waren. Inmitten einer der Rattenkäfige schliefen seelenruhig eine Frau mit ihren Kindern im Arm.
Wir warten eigentlich nur darauf, dass der Bus in einer der zahlreichen Kurven endgültig den Geist aufgeben und auseinanderfallen würde, aber überraschenderweise kamen wir unbeschadet in Phnom Penh an. Es fiel uns wirklich nicht leicht, uns den Namen zu merken, und so schufen wir die unterschiedlichsten Wortkreationen von Plomh Plemh bis hin zu Gnom Peng. Das bereits gebuchte Hotel war angenehm sauber, auch wenn es sich in einer etwas dubiosen Gegend befand. Müllberge türmten sich dekorativ neben den düsteren Straßen auf und direkt vor dem Hotel floss ein schlammiger Fluss, der dem Geruch nach zu urteilen als öffentliche Toilette diente.
Ratlos standen wir jedoch vor einer leeren Rezeption. Weit und breit war niemand zu sehen. „Hello?“, riefen wir in die Dunkelheit. Stille. Schließlich fanden wir eine Klingel, die einen äußerst klangvollen schrillen Ton von sich gab. Mit einem Poltern tauchte plötzlich der Kopf eines kleinen Mannes auf. Er war unter dem Tresen eingeschlafen. Glücklicherweise nahm er es uns aber nicht übel, dass wir ihn geweckt hatten, und zeigte uns mit einem breiten Strahlen das Zimmer.
Am vorletzten Tag machten wir mit einem Tuk Tuk eine Stadtrundfahrt, sahen den Tempel Wat Phnom, das Tuol-Sleng-Genozid-Museum und den Königspalast. Das Genozid-Museum war das ehemalige S-21 Folter-Gebäude der Roten Khmer. Zwischen 1975 und 1979 waren zwischen 14.000 und 20.000 Menschen aus allen Teilen Kambodschas dort inhaftiert worden. In den Räumen wurden die Fotos dieser Menschen gezeigt, darunter Frauen, Kinder und gebrechliche Alte.
Andere Räume beinhalteten die grausamen Folterinstrumente. Überall sah man Fotos mit den Ermordeten, ihr letzter qualvoller Kampf nur allzu deutlich festgehalten. Auf dem Boden zeugten große Blutflecken von den Gräueltaten, die hier stattgefunden hatten. Mehrere Tausend Schädel wurden aufbewahrt. Am Ausgang saß ein Überlebender, der Bücher verkaufte und immer wieder auf ein altes Foto zeigte und murmelte: „That is me.” Die Fahrt zum Königspalast verbrachten wir schweigend. Das Gesehene konnte nicht in Worte gefasst werden.
Im Palast mussten Knie und Schultern züchtig bedeckt werden, ansonsten bekam man ein hübsches Outfit verpasst, das doch sehr an einen Schlafanzug erinnerte. Die Führerin war aber sehr nett und wurde nicht müde, zu betonen, dass der König noch Single und zudem sehr gutaussehend sei. Hatte sich das lange Warten also doch gelohnt?
Der nächste Tag begann mit dem harmlosen Plan, in einem Café zu frühstücken, das uns mit seinen liebevoll dekorierten Schaufenstern schon öfter beim Vorbeifahren das Wasser im Mund hatte zusammenlaufen lassen – es versprach die köstlichsten Desserts. Christa hatte vorsorglich die genaue Wegbeschreibung auf ihrem Handy gespeichert und der Fahrer beteuerte unter euphorischem Nicken, er wisse ganz genau, wohin. Wir fuhren und fuhren und fuhren. Die Gegend wechselte von schön zu nicht ganz so schön zu gar nicht schön. Das war nicht mehr Gnom Peng.
Als der Fahrer endlich langsamer fuhr, bestätigten sich unsere Befürchtung. Er hatte ebenfalls keine Ahnung, wo wir waren. Immerhin gab er sich nun geschlagen und fing an, die anderen Tuk-Tuk-Fahrer nach dem Weg zu fragen. Doch auch diese hatten keinen blassen Schimmer, wo sich das Dessert-Café befand. Wir baten ihn schließlich, uns auszusteigen lassen, aber wollten nicht den vollen Preis bezahlen, da er uns fast eine Stunde lang sinnlos herumgefahren hatte und wir inzwischen weiter von einem Stück Kuchen entfernt waren, als je zuvor.
Wir fanden relativ schnell einen neuen Fahrer, doch kaum saßen wir in der Rikscha, kam der vorherige angerast und versperrte den Weg. Unwirsch wurde uns befohlen, wieder auszusteigen. Leicht beunruhigt machten wir uns auf die Suche, nach einer neuen Mitfahrgelegenheit, doch die beiden Tuk-Tuk-Fahrer blieben uns dicht auf den Fersen und hielten alle davon ab, uns einstiegen zu lassen. Die Situation wurde langsam brenzlig und wir beschlossen, uns in einer kleinen Seitenstraße zu verstecken. Als die Luft wieder rein war, begaben wir uns zu Fuß auf die Suche nach dem Café und fanden es zu unserem Erstaunen auch relativ schnell.
Als wir die süßen Kreationen sahen, schlugen unsere Herzen höher. Die Odyssee hatte sich gelohnt. Beherzt biss Christa in ihr Törtchen, nur um es mit einem spitzen Schrei wieder auf den Teller fallen zu lassen. Es war im Inneren komplett verschimmelt. Anscheinend waren wir nicht die einzigen, die Schwierigkeiten gehabt hatten, das Café zu finden, und die Köstlichkeiten hatten schon zu lange auf hungrige Besucher warten müssen.
Mit leerem Magen und einem leichten Übelkeitsempfinden von Christas Seite aus, fuhren wir mit der Fähre auf die Seideninsel. Dort hatten wir aber zum ersten Mal das Glück, auf einen Fahrer mit Ortskenntnissen zu stoßen. Eine sehr nette Frau verkaufte selbst gewebte Seidenstoffe, nur der Strand erwies sich als eher enttäuschend.
Abends auf dem Weg zum Hotel bemerkten wir, dass eine detaillierte Wegbeschreibung überflüssig war. „Einfach dem Gestank nach”, sagte Christa zum Spaß, und tatsächlich wusste der Fahrer diesmal genau, wohin. Wieder hatte es sich als fragwürdige Entscheidung herausgestellt, die billigste Unterkunft zu buchen. Männer winkten uns fröhlich zu, während sie vor uns in den Fluss urinierten.
Auch die Nap Queen an der Rezeption war wieder einmal verschwunden. Selbst die markerschütternde Klingel half nicht weiter. Irgendwann klopfen wir auf die Bretter des Tresens und tatsächlich. Mit verquollenen Augen kam der schaffensfreudige Rezeptionist langsam hervor geklettert. Diesmal lächelte er nicht ganz so strahlend. Wir fragten ihn nach dem Weg zum Flughafen, schließlich ging am nächsten Morgen unser Flug zurück nach Bali. Ratlos sah er uns eine Weile an, bevor er plötzlich vergnügt rief: „No have!“