Die Full-Moon-Party
Thailand
Nach dem Studium auf Bali – bei dem wir so ziemlich alles getan hatten, außer zu studieren – entschieden zwei Freundinnen und ich, uns noch ein wenig vom Rest Asiens anzuschauen. Wenn man sich schon auf der anderen Seite des Globus befand, sollte dies auch ausgenutzt werden! Zudem hatten wir inzwischen so viele Geschichten von der berüchtigten Full-Moon-Party auf Koh Phangan gehört, dass uns eins klar war: Wir konnten nicht nach Europa zurückkehren, ohne ebenfalls unsere eigene beizusteuern.
Der günstigste Flug, den wir fanden, brachte uns direkt nach Phuket. Schon das Kaufen der Tickets stellte sich jedoch als Geduldsprobe heraus. Wochenlang ließ uns das System keine drei Plätze auswählen, bis wir schließlich einfach getrennt buchten.
In Phuket angekommen standen wir nichtsahnend auf der Rolltreppe, als wir plötzlich laute „Stopp“-Schreie von unten vernahmen. Der Ankunftsraum war so überfüllt, dass die Leute auf der Rolltreppe, also auch wir, recht unsanft in die Unglücklichen, die dieser am nächsten standen, hineinfuhren. Keiner konnte sich fortbewegen. Immer mehr Leute kamen von oben nach und wir wurden schmerzhaft aneinander gepresst.
Als das Knäuel von schwitzenden Reisenden sich einigermaßen entwirren konnte, wartete bereits die nächste Herausforderung auf uns: Die Passkontrolle. Ähnlich ausgeklügelt organisiert wie der Ankunftsraum, dauerte es nur zwei Stunden, bis wir an der Reihe waren. Die Klimaanlage hatte schon lange aufgegeben und es wehte nicht einmal ein laues Lüftchen. Der Beatme, der die Reihen kontrollierte, sah so aus, wie wir uns fühlten. Äußerst schlechtgelaunt musterte er die müden Wartenden aus rot unterlaufenen Augen. Ein älterer Herr mit Krückstock, der einen Behindertenausweis vorzeigte, wurde unwirsch wieder zurück auf seinen Platz verwiesen. Hier ließ man keine Gnade walten.
Nachdem wir endlich den Stempel in unseren Pass geknallt bekommen hatten, ging es nach draußen zu den Taxiständen. Nur leider herrschte dort gähnende Leere. Zu viele der Ankommenden waren schneller gewesen als wir. Wir starrten einige Zeit angestrengt in die Ferne, bis auf einmal, begleitet von einem leisen Scheppern, ein bereits in die Jahre gekommenes Taxi angerollt kam. Der Fahrer, ähnlich antiquarisch wie sein Auto, riss Christa unwirsch ihr Handy mit der Hoteladresse aus der Hand, hielt es nah an seine eng zusammengedrückten Augen, nur um es danach mit nicht minder angestrengtem Gesichtsausdruck ganz weit von sich weg zu strecken und es zum Schluss wieder lediglich Millimeter von seinen Augen entfernt zu halten. Es dauerte ein paar Minuten, bis uns klar wurde, was diese seltsame Aktion zu bedeuten hatte: Der Mann war quasi blind. Beste Voraussetzungen also, um den Beruf des Taxifahrers zu ergreifen!
Aber von so einer Kleinigkeit wie fehlender Sehkraft ließ der Gute sich nicht aufhalten. Er verkündete fröhlich, er kenne die Adresse, und da wir nur noch ins Bett wollten, blieb uns nichts anderes übrig, als in das polternde Taxi zu dem blinden Fahrer zu steigen und auf das Beste zu hoffen. Natürlich war es auch noch stockdunkel, sodass man schon als Sehender Schwierigkeiten hatte, den Weg zu erkennen. Sein fehlendes Augenlicht schien er mit Geschwindigkeit kompensieren zu wollen, und so rasten wir mit halsbrecherischer Geschwindigkeit über kaum asphaltierte Wege. Obwohl die Sterne nicht gut standen, überstanden wir die einstündige Fahrt unbeschadet.
Das Taxi ächzte vorwurfsvoll. „I stop here. It’s too dangerous for me”, ließ der Mann unbekümmert vernehmen, und ließ so drei junge Mädchen beladen mit schwerem Gepäck auf der Straße aussteigen, die für ihn zu unsicher war. Uns wurde auch nur allzu schnell klar, warum er nicht hatte weiterfahren wollen. Düstere, heruntergekommene Gebäude ragten über uns auf. Ein Neonschild flackerte mit einem unheimlichen Surren, und ein sichtlich angetrunkener Mann stolperte plötzlich auf den Gehweg. Eine große Ratte sprang erschrocken auf und sah zu, dass sie davonkam. Wir unterdrückten den Drang, es ihr gleichzutun, und wuchteten unser sperriges Gepäck zu der Unterkunft.
Unten vor der Hoteltreppe lauerte bereits die nächste verlorene Seele. Er wartete, bis wir uns an ihm vorbeigeschleppt hatten. Dann huschte er uns mehr oder weniger unauffällig die Stufen hinterher.
In der kaum beleuchteten Lobby angekommen, feierten bereits drei grölende Jugendliche in Badehosen, die eindeutig zu tief in die Alkohol-Buckets geschaut hatten, eine kleine Privatparty. Einer von ihnen, der einen doch recht seltsamen Ausschlag am gesamten Körper aufwies, ließ es sich nicht nehmen, mich persönlich zu begrüßen, und wollte sich schwungvoll in meine Arme schmeißen. Vor Schreck machte ich einen Satz zurück und der Krätze-Mann fiel ins Leere. „Don’t touch her!“, rief Christa empört, und zog so den Unmut der anderen zwei Halbstarken auf sich.
Fast kam es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung, jedoch schaltete sich der Rezeptionist mit müder Stimme ein. “I will show you the room”. Erleichtert griffen wir bereits nach unserem Gepäck. Da schob sich auf einmal der Mann, der uns in das Hotel gefolgt war, vorbei und ließ sich das Zimmer zeigen. Verdutzt schauten wir uns an. Was geschah hier? Nachdem sie gemeinsam unsere Betten überprüft hatten, zog der Unbekannte mich verschwörerisch beiseite: “Do you wanna party with me tonight?” Ich wusste nicht, was verlockender war. Eine Umarmung vom Krätze-Mann oder eine Partynacht mit einem thailändischen Straßengangster.
“I have some nice friends as well”, fuhr er fort und zeigte auf Christa und Dana. Die beiden wirken jedoch nicht, als wollten sie seine netten Freunde kennenlernen, und so musste ich sein großzügiges Gebot dankend ablehnen. Im Hintergrund hatten die Jungs angefangen, sich gegenseitig Kopfnüsse zu verpassen, und hofften so, die Aufmerksamkeit wieder auf sich lenken zu können. Wir wollten jedoch nur noch eins: Schlafen. Der Rezeptionist ließ sich endlich dazu herab, auch uns das Zimmer zu zeigen, das aus zwei Hochbetten bestand. “No keys for the room. Cannot lock.” Da schlief es sich doch in Anbetracht der Klientel besonders gut.
Christa seufzte erleichtert und ließ ihre schwere Tasche auf den fleckigen Boden fallen. Sie öffnete den Reißverschluss, sprang aber mit einem lauten Schrei zurück. “Kakerlake!!” Für eine Sekunde wurde es dunkel um mich herum, in der nächsten befand ich mich auf der oberen Matratze des Hochbetts. Christa und Dana schauten mit offenem Mund zu mir herauf. “Wie bist du da einfach so heraufgesprungen?” Ich hatte es all die Jahre doch in mir gehabt. Allerdings blieb es bei dieser einmaligen körperlichen Meisterleistung. Danach versank ich wieder in den bedeutungslosen Tiefen der Unsportlichkeit. Hätten die Lehrer doch einmal Kakerlaken zum Unterricht mitgebracht.
Der Schreck war gerade einigermaßen verdaut, da machten wir uns auf die Suche nach dem Bad. Es erinnerte an die liebevolle Einrichtung eines Gefängnisses für Schwerverbrecher. Eine blutige Spritze lag dekorativ auf dem Boden und aus einer der kleinen Klokabinen drangen klägliche Würgegeräusche hervor. So langsam kamen uns die ersten Zweifel, ob es eine gute Entscheidung gewesen war, weniger als einen Euro für die Übernachtung auszugeben.
„Hier schlafe ich keine Sekunde“, verkündete Christa entsetzt. Aber was blieb uns schon anderes übrig? Augen zu und durch!
Wir verbrachten die Nacht in einem Dämmerzustand, rechneten jede Sekunde damit, die Krätze-Gang oder der Straßengangster würden uns Gesellschaft leisten.
Am frühen Morgen machten wir uns so schnell wie möglich im Gemeinschaftsbad fertig und platzieren uns gut sichtbar vor dem Hotel. Alles fuhr oder kroch an uns vorbei, nur kein Bus. Inzwischen leicht beunruhigt stieg ich die vielen Treppen wieder hinauf und erkundigte mich beim Rezeptionisten unseres Vertrauens nach dessen Verbleib. Jedoch wirkte er alles andere als begeistert über die Störung. “No worry. If bus not here in two hours, then worry”, murmelte er unwirsch. Das klang doch vielversprechend.
Glücklicherweise tauchte der Bus aber nach nur einer Stunde Verspätung auf. Bei einem Zwischenstopp nutzten wir die Gelegenheit, Tickets für die Fähre nach Koh Phangan zu kaufen. Leichter gesagt als getan. Zuerst wurde der Abfahrtshafen inkorrekt angegeben, dann der Ankunftsort und zum Schluss noch unsere Namen falsch geschrieben. Als sowohl unsere als auch die Nerven des Ticketverkäufers blank lagen, dachten wir, endlich würde alles passen. Nur ein Feld überprüften wir noch nicht einmal genauer: das Datum der Rückfahrt – ein schwerwiegender Fehler, wie sich später herausstellen sollte.
Gegen späten Nachmittag kamen wir am Hafen an und geduldig stellten wir uns an das Ende der Schlange, wurden aber sofort von vorbeihastenden Menschen unsanft beiseite geschubst. Überhaupt herrschte ein ruppiger Umgangston. Jeder versuchte, sich auf die Fähre zu quetschen. Mitleidig schauten wir auf die Rangeleien. Schließlich verfügten doch alle über Tickets für diese Fähre. Dass die anderen aber nicht unhöflicher, sondern einfach nur schlauer waren, bemerkten wir, als die Türen unter lauten Rufen geschlossen wurden: ”Full, full!” Panisch schauten wir uns an. Hatten wir doch Tickets für genau dieses Schiff gebucht.
Aber kein Grund zur Sorge, wurde uns versichert. In einer halben Stunde würde schon die nächste Fähre kommen. Diese musste aber unbemerkt an uns vorbeigefahren sein, denn erst nach anderthalb Stunden konnten wir endlich den überfüllten Hafen verlassen.
Im Dunkeln liefen wir im Hafen von Koh Phangan ein. Beschwingt fing ein Mann der Besatzung an, die Gepäckstücke zum Pier zu werfen. Voller Bewunderung schaute ich ihm dabei zu. Immerhin lag ein gutes Stück zwischen ihm und Anlegesteg. Meine Begeisterung stellte sich jedoch als verfrüht heraus. “Aaaay”; rief der Mann voller Elan, griff dienstbeflissen nach dem obersten Gepäckstück, holte weit aus und mit einem lauten Klatschen versank es in den dunkeln Tiefen des Ozeans. So schnell hatte ich noch nie Menschen zu ihrem Gepäck rennen sehen. Jeder fiel fast übereinander bei dem Versuch, es vor den Armen der Besatzung zu retten.
Als wir die Fähre verließen, konnten wir noch sehen, wie ein paar Männer mit einem schwachen Handylicht, das hoffnungslos flackerte, das Wasser absuchten und recht halbherzig eine Schnur immer wieder in die Richtung warfen, in der sie den Koffer vermutete. Er blieb verschwunden. Man konnte nur hoffen, dass er vorwiegend Badesachen enthielt.
Auf uns warteten schon bunte Pick-Ups, die, bevor wir noch unsere Adresse nennen konnten, bereits unsere Taschen brüsk auf die Ladefläche geworfen hatten. Generell schien man dem Gepäck hier wenig Wert zuzuschreiben. Gut, dass ich meinen Laptop bei einem Freund auf Bali gelassen hatte. Gemeinsam mit anderen Reisenden drängen wir uns neben das Gepäck. Anschnallgurte suchten wir natürlich vergeblich, und so hüpften wir auf der rasanten Fahrt schmerzhaft auf und ab.
Zum Glück befand sich unsere Unterkunft in bester Lage: direkt am berüchtigten Strand der Full-Moon-Party. Die Managerin stellte sich als wesentlich umgänglicher als der Phuket-Rezeptionist heraus und erlaubte uns, eine Zweierhütte zu dritt nutzen zu dürfen. Ganz ohne Aufpreis.
Die Ausstattung der Hütte begrenzte sich aber ohnehin auf das Nötigste. Es gab ein kleines Bett, ein Waschbecken sowie eine Toilette ohne Spülung, dafür mit einem Kübel Wasser sowie Eimer zum Nachschütten daneben. Das Toilettenpapier durfte man natürlich nicht hinunterspülen, sodass es am nächsten Morgen schon vor Ameisen im Abfallkorb wimmelte.
Zum Abschluss des ereignisreichen Tages setzten wir uns an einen gemütlichen Tisch direkt am Wasser. Im Vergleich zu Phuket war das hier das Paradies. Wie schon auf Bali brachten die Kellner uns zu den unterschiedlichsten Zeiten das Essen, und die Erste war schon fast fertig, bevor die Letzte, seltsamerweise immer die Hungrigste, ihre Portion bekam.
Für den Vormittag hatten wir schon einiges an Trubel erwartet, aber der Strand wirkte noch relativ ruhig. Vielleicht schonten die meisten auch nur ihre Kräfte für die große Party. Wir gingen frühstücken und nach nur einer kurzen Stunde bekamen Christa sowie Dana ihr Essen serviert. Als ich mich nach meinen Bananen-Pancakes erkundigte, erntete ich einen vernichtenden Blick. “You have to order first.” So lief das also. Hier bestellte man sein Essen tatsächlich noch, bevor es serviert wurde.
Bei einem der vielen kleinen Geschäfte entschlossen wir spontan, Shorts anzuprobieren, was normalerweise ein relativ ungefährliches Unterfangen war, nicht so jedoch auf Koh Phangan. Ich war gerade mit einem Bein in die Hose geschlüpft, als der Verkäufer plötzlich wütend gegen den dünnen Vorhang, der notdürftig vor dem Spiegel aufgehängt war, schlug. Seine Hand schoss zu mir vor und riss die Jeans mit ungewöhnlicher Kraft aus meiner Umklammerung. Um ein Haar wäre ich umgekippt und hätte dabei – nur mit einer Unterhose bekleidet – den Vorhang mit zu Boden gerissen. “Get out!”, schrie er wutentbrannt. Der Mann wusste, wie man Geschäfte machte. Völlig ratlos schauten wir uns an. Was hatten wir bloß falsch gemacht?
Von Bali waren wir es gewöhnt, dass sich die Verkäufer mit Feuereifer aus uns stürzten, aber nun galten offenbar andere Gesetze. Wir wurden einfach komplett ignoriert oder wurden mit schnippischen Antworten abgespeist. „I am busy“, meinte eine Frau und wies herrisch auf ihr leeres Geschäft, in dem wir die einzigen Kunden waren. Wir versuchten bei drei Plastikblumenkränzen einen besseren Preis auszuhandeln, was aber auch auf wenig positive Resonanz stieß. “You are ugly girls!”, bekamen wir barsch an den Kopf geworfen. Wir sahen zu, dass wir schleunigst den Shop verließen.
Immerhin für Neon-Tattoos waren wir nicht zu unattraktiv und zwei Jungs pinselten uns emsig fantasievolle Ornamente auf den Körper.
Zwar ohne Shorts oder Blumenkranz, dafür aber in sämtlichen Neonfarben leuchtend, wartete bereits der nächste Dämpfer auf uns. Statt für den 14. waren uns die Rückfahrttickets für den 16. ausgestellt worden. Mit leicht beschleunigtem Puls machten wir uns auf die Suche nach dem nächsten Ticketschalter. Der Mitarbeiter grummelte lediglich, für Geld könnten wir bei der Zentrale anrufen. Wir antworteten, dass wir kein Geld dafür zahlen würden, dass jemand anderes einen Fehler gemacht habe. Er seufzte: „Ok. I call boss und rief umständlich bei der Zentrale an, nur um ein paar Minuten später uns den Hörer in die Hand zu drücken. „Everything full“, bekundete eine Frauenstimme. „But we need to get on this ferry! We already booked our flights and everything.” „I knooooow“, seufzte die Frau am anderen Ende der Leitung, nun angemessen besorgt. „Can you not give us tickets for the 14th?” „No have. I wanna speak to Thailand people.”
Panisch bestürmten wir den armen Mann mit Bitten, das Datum zu ändern. Er nickte mehrmals verständnisvoll und redete auf die Frau im Hörer ein. Nach einigen qualvollen Minuten nickte unser Freund und Helfer strahlend: „Ok all good. You can go on the 16th.“ Wir sahen ihn fassungslos an. „No, not the 16th. We need to leave on the 14th.“ „Aaaaah“ rief der Mann voller Inbrunst und sein entschlossener Blick ließ keinen Zweifel daran, dass ihm nun voll und ganz aufgegangen war, was wir von ihm wollten. Erleichtert schauten wir uns an. Er redete jetzt noch schneller auf die traurige Chefin ein. Hoffnungsvoll richteten sich unsere Augen auf ihn, als er wieder auflegte und voller Stolz verkündete: „It’s ok!“ Erleichtert lachten wir. „You can go on 16th.“
Stille. In der Ferne hörte man einen Hund bellen.
Geschlagen beschlossen wir, aufzugeben und unsere Sorgen in einem der vielen Buckets, die überall dekorativ am Straßenrand aufgetischt und mit hochqualitativem Alkohol gefüllt waren, zu ertränken. Wir hofften am Strand weitere Feierwütige zu treffen, stießen jedoch nur auf ein paar vereinzelte Urlauber, die an einem Wasser nippend Kreuzworträtsel lösten. Das Ganze war inzwischen so besorgniserregend, dass wir schon begannen uns zu fragen, ob wir überhaupt auf der richtigen Insel gelandet waren. Wir beschlossen, einfach für die anderen mitzutrinken.
Christa nutzte die Zeit, um uns über die geschichtlichen Hintergründer der Party ins Bild zu setzen. Vor einiger Zeit war wohl eine Gruppe von Touristen eher zufällig an ebendiesen Strand gekommen – wahrscheinlich hatten auch sie falsche Tickets ausgestellt bekommen – und befanden, dass der Mond nirgendwo auf der Welt schöner leuchtete als hier, wo jetzt wir aus andächtig aus Plastikeimern tranken. Dies war der Beginn der berüchtigten Party, zu der jeden Monat zwischen 10.000-30.000 Menschen von überall auf der Welt kamen. Wir fragten uns, wo sich denn diese gerade befanden.
Aber je mehr die Sonne abnahm, umso mehr füllte sich der Strand. “I forgot my condoms!”, schrie auf einmal ein Mädchen hinter uns, und gemeinsam mit ihren Freundinnen rannte sie zurück zum Hotel. Es schien, als wären wir mehr als unvorbereitet.
Die DJs mussten irgendwann eingeschlafen sein – es liefen immer wieder die gleichen Perlen der Musikwelt wie „YMCA“ und „What makes you beautiful“ in Dauerschleife. Dies tat der Stimmung jedoch keinen Abbruch, da die meisten eh zu tief in den Eimer geschaut hatten, um überhaupt noch irgendwas zu hören. Kleine Jungs brachten alle zum Staunen, in dem sie die unglaublichsten Tricks mit Feuer vorführten. Das wollten die Männer ihnen doch sofort gleichtun und sprangen mehr oder weniger kunstvoll durch Feuerreifen, oder ließen sich einfach gleich in die Flammen fallen.
Wir trauten unseren Augen kaum, als wir sahen, wie ein Stück weiter ein riesiges Seil aus Feuer geschwungen wurde, und die Angetrunkenen nichts lustiger fanden, als ihren Mut zu beweisen, indem sie versuchten, drüberzuspringen. Vielen gelang das Kunststück jedoch nicht ganz und so blieben sie oft im Seil hängen. Der Kater würde am nächsten Morgen ihre geringste Sorge sein.
Gegen drei Uhr morgens fing das WM-Finale an, und das Interesse für die Party ebbte merklich ab. Leider zeigte der Alkohol bei mir irgendwann seine Wirkung – wenn auch nicht die erhoffte – denn ich kippte einfach quietschend vom Plastikstuhl. Danach beschloss ich, dass es besser war, ins Bett zu gehen. Auf dem Weg zu unserer Hütte stieß ich auf ein Pärchen, das eng umschlungen in den Wellen miteinander beschäftigt war. Untermalt wurde die romantische Stimmung noch von dem sanften Plätschern der Urinstrahlen, der Männer zu ihrer Seite.
Insgesamt war es eine interessante Erfahrung gewesen. Nur den Mond hatten wir leider nicht ein einziges Mal am Himmel gesehen.
Bereits um sechs Uhr morgens sollte uns ein Taxi abholen. Recht optimistisch von uns, da wir erst um fünf schlafen gegangen waren. Allerdings dachten wir, es wäre ratsam, so früh wie möglich bei der Fähre zu sein, um irgendwie noch einen Platz zu erkämpfen. Natürlich klingelte der Wecker nicht (es kann auch sein, dass keiner ihn hörte), aber wie durch ein Wunder wachte Dana um kurz nach sechs auf. So schnell wie möglich warfen wir unsere Klamotten in die Taschen und rannten zur Straße. Dort warf man uns lediglich einen bösen Blick zu: „You late, you pay extra“
Umgerechnet sollten wir ganze 30 Euro mehr zahlen. Für das Geld hätten wir schon unser eigenes Gefährt kaufen können. Noch weniger Sinn machte diese Gebühr, da es sowieso von „Taxis“ nur so wimmelte. Obwohl wir uns weigerten zu bezahlen, riss uns ein Fahrer plötzlich das Gepäck aus der Hand und knallte es auf das Dach seines Transporters. Um unsere Habseligkeiten besorgt, da wir ja gerade erst auf der Fähre erlebt hatten, welch hartes Schicksal ihnen zuteil werden konnte, baten wir, es auf den Schoss nehmen zu dürfen. Als Antwort spuckte der Fahrer vor uns aus und schrie, Leute wie uns würde keiner fahren. Zu allem Überfluss waren die Transporter auch noch so überfüllt, dass wir uns auf schmale Trittbretter, die recht lose an den Seiten befestigt waren, stellen sollten. Ungläubig starrten wir erst die Vorrichtung, dann den Fahrer an. Er fuhr ohne uns los. Zum Glück schmiss er vorher noch unser Gepäck auf die Straße.
Aber noch gab es Hoffnung, erschien doch bald ein neuer Transporter, in dem wir sogar einen Sitzplatz erhielten. Wir baten die doch sichtlich beunruhigten Männer auf den Trittbrettern, ab und zu nach unseren Taschen zu schauen, da der Fahrer einen recht rasanten Fahrstil an den Tag legte und diese unbefestigt auf dem Dach hin- und her rutschten. Das hatte zur Folge, dass der Inhalt sämtlicher Seitentaschen auf die Straßen fiel und nun für immer auf Koh Phangan Urlaub machen würde. Die anderen im Transporter sahen aus, als hätten sie den Bucket-Alkohol nicht ganz so gut vertragen, und ich versuchte unauffällig, möglichst viel Platz zwischen mich und meine würgende Sitznachbarin zu bringen, wurde jedoch in den zahlreichen Kurven immer wieder unsanft an sie gepresst.
In der Wartehalle herrschte eine recht gedrückte Stimmung, da sich überall Menschen auf dem nackten Boden krümmten, die aussahen, als ob sie nicht mehr lange unter uns weilen würden. Zu unserer großen Verwunderung schafften wir es dann aber doch noch auf die Fähre. Die Kontrolleure schauten genauso wenig auf das Datum, wie wir es getan hatten.
Der nächste Stopp, Koh Tao, war wie einer Postkarte entsprungen und vor allem abends wunderschön, als alles von winzigen Lichtern beleuchtet wurde und wir auf Kissen liegend eine Feuershow bewundern konnten. Diesmal sogar ohne Betrunkene, die in die Flammen fielen.
Am darauffolgenden Tag konnte ich endlich wieder etwas von meiner To-Do-Liste streichen, als ich mit Christa einen Fish Spa aufsuchte. Zuerst fühlte es sich wirklich sehr gewöhnungsbedürftig an, wie Hunderte kleine Fische an unseren Zehen knabberten, aber nach einer Weile spürte man kaum noch etwas.
Nachdem die Füße sich samtzart anfühlten, wollten wir unser Busticket von Bangkok nach Siem Reap buchen. Die Ticketverkäufer hatten allerdings keine Ahnung, wovon wir sprachen, und musterten uns, als hätten wir sie gebeten, einen Spontantrip zum Mond zu organisieren. „Don‘t know. Have to call boss.“ Dienten die Mitarbeiter etwa nur der Dekoration? Irgendwann stießen wir aber auf einen kompetent wirkenden Mann, der uns ein äußerst preiswertes Busticket verkaufte. Warum es so günstig war, sollten wir noch früh genug herausfinden.
Mit Fähre sowie Bus ging es weiter nach Bangkok. Uns war gesagt worden, dass wir um Mitternacht ankommen würden, also reservierten wir vorsorglich noch ein Hotel. Das stellte sich jedoch als Fehlinvestition heraus. Man hatte sich mit der Ankunftszeit vertan. Wir kamen erst um 4 Uhr in Bangkok an. Für einen Check-In war es bereits zu spät.
Ratlos standen wir neben unserem Gepäck zwischen riesigen Müllbergen. Die Straße war menschenleer, nur ein paar Kakerlaken flanierten einträchtig neben einer fetten Ratte umher. Wir beschlossen, im nächsten McDonalds auf den Bus nach Kambodscha zu warten. Die Klimaanlage gab alles, um im Rennen für die Auszeichnung als Mitarbeiter des Monats mithalten zu können. Zitternd pressten wir uns aneinander.