Die Trainingsschool Tag 3 – In der Nähe von New York City
Vor dem Frühstück am nächsten Tag riefen Caro und ich unsere Familien in Deutschland an und die Reaktionen hätten nicht unterschiedlicher sein können. Während sich meine hörbar freute, dass ich mich meldete, kam von Caros Familie nur ziemlich trocken: »Wahnsinn, dass du noch kein Heimweh hast, wir haben dich eigentlich schon wieder hier gesehen.«
Statt abends fand der Workshop diesmal schon am Morgen statt und eine fidele Lehrerin mit breitkrempigem Strohhut klärte uns darüber auf, dass der Schlüssel zu einem erfolgreich Zusammenleben mit der Gastfamilie vor allem Kommunikation sei.
Gerade wenn einen etwas störe oder es Probleme gäbe, sollte man diese möglichst schnell zur Sprache bringen. Ungemein wichtig und nützlich dafür wäre die auch immer wieder im Workbook erwähnte Sandwich-Methode, bei der man erst mit etwas Nettem begann, wie: »Ich fühle mich wirklich sehr wohl hier«, dann auf den eigentlich Kern einging: »Aber wäre es vielleicht möglich, ein etwas abwechslungsreicheres Dinner zu kochen?«, und zu guter Letzt mit etwas Positivem abschloss, sodass die angesprochenen Gasteltern gar nicht erst auf die Ideen kommen konnten, das Au Pair könne sie auf irgendeine Weise kritisiert haben.
Danach durften wir noch einer zutiefst bewegenden Geschichte von ihrer Zeit als Au Pair auf Hawaii lauschen. Trotz der traumhaften Umgebung sei es anfangs sehr schwer für sie gewesen, da das Mädchen, auf das sie aufpassen musste, immer nur davon redete, wie viel besser das alte Au Pair gewesen wäre. Sie habe versucht, das Beste daraus zu machen, geantwortet, dass das alte Au Pair sicher ein toller Mensch gewesen sei, und ob sie ihr nicht einen netten Brief schreiben wollten?
Doch das Mädchen blieb verstockt und verhielt sich ihr gegenüber furchtbar, mehrmals täglich warf sie ihr ein »I hate you!« an den Kopf. Aber, betonte die Lehrerin, sie wäre dabei immer seelenruhig geblieben und hätte einfach geantwortet: »But I love you.« Das ging mehrere Wochen so, bis das Mädchen sie eines Tages fragte: »Do you know why I hate you? Because you are going to leave me one day, just like the other au pair did.« Nach diesem Geständnis hätte sie das weinende Kind in den Arm genommen und sie wären fortan ein Herz und eine Seele gewesen – ja sie würden sogar jetzt noch miteinander in Kontakt stehen!
Diese herzerwärmende Anekdote erntete lauter »Ohs« und »Ahs« von den zutiefst berührten Au Pairs im Raum und die ein oder andere Träne wurde verstohlen weggetupft.
In Gruppenarbeit sollten wir danach verschiedene Probleme à la: „Wie verhältst du dich, wenn sich deine Gasteltern streiten?” lösen. Um Viertel nach zehn fanden wir uns zum letzten Mal zum Unterricht ein, worüber die meisten sich nicht gerade traurig zeigten. Da die Klimaanlage von der Anstrengung, uns in der großen Halle eisige Winde kräftig ins Gesicht zu blasen, völlig erschöpft zu sein schien, blieb für die Klassenzimmer nicht einmal ein laues Lüftchen übrig. Das stundenlange Herumsitzen in überhitzten und engen Räumen war uns allen zunehmend schwergefallen.
Zum Abschluss wurden wir mehr oder weniger indirekt dazu aufgefordert, unseren Gastfamilien zu erzählen, was für eine wunderbare Zeit wir in der Schule verbracht hätten. Ja, eigentlich würde uns restlose Begeisterung einen guten ersten Eindruck verschaffen.
Bei diesen Worten rief ich mir die letzten Tage nochmal ein wenig ins Gedächtnis. Völlig veraltete und teils haarsträubende Lehrfilme, abstruse Sicherheitstipps und wollüstige Polizisten. Unvergessen würden auch die sanitären Einrichtungen nicht bleiben. Nachdem sich herumgesprochen hatte, dass bei uns im Gebäude das Wasser zumindest nicht so aussah, als käme es direkt aus der Kanalisation, war das einzige Bad noch mehr überfüllt gewesen. Manche Mädchen waren mitten in der Nacht aufgestanden, um dem sanitären Horror zu entgehen und hatten sich um drei Uhr morgens geduscht.
Aber irgendwie machte das Verhalten der Lehrkräfte auch Sinn. Wäre es hier wirklich so idyllisch gewesen, wie wir erzählen sollten, welchen Zweck hatte es dann, uns einzutrichtern, welche Worte wir genau zu wählen hatten?