Die Vorbereitungen Teil 2
Noch weiter von wundervollen Verheißungen angestachelt, machte ich mich sofort wieder an die Perfektionierung meiner Bewerbung, um meinen Patzer beim Interview wiedergutzumachen. Da es sich sicherlich auch nicht schlecht machte, die persönliche Referenz von einem Lehrer geschrieben zu bekommen, fragte ich meinen Geschichtslehrer. Er war einer der wenigen, bei dem ich nicht das Gefühl hatte, er würde mich für einen hoffnungslosen Fall halten und tatsächlich stimmte er zu, wenn auch nur unter der Bedingung, dass ich sie aber selbst ins Englische übersetzen müsse, da seine Sprachkenntnisse nicht wirklich ausreichend wären.
Nun galt es eigentlich nur noch ein großes Hindernis zu bewältigen: den Führerschein. Um ihn schnellstmöglich zu erhalten, stürzte ich mich trotz des Abistresses in die Theorie- und Fahrstunden, angespornt von der Aussicht auf ein Jahr, das mich für all dies entschädigen würde. Ich bekam sogar noch eine zweite Kinderbetreuungsreferenz von einer Nachbarin, obwohl ich dort nur ein paar Abende auf die Kinder aufgepasst hatte. Und damit war die Bewerbung endlich mehr als fertig. Mittlerweile war es Anfang Februar. Zufrieden blätterte ich alles noch einmal durch, drei Referenzen, die aufwendige Collage und auch der Rest – alles so, wie es sein sollte. Dennoch, um auch ja alles, aber wirklich alles richtigzumachen, beschloss ich, alle Unterlagen zuerst noch an Anna-Lena zu schicken, die sich anbot, alles eingehend zu überprüfen.
Und damit begann die erste von den vielen Katastrophen, die noch folgen sollten. Die Bewerbung kam nie an. Die Post hatte offenbar just den Zeitpunkt für die Zustellung gewählt, den Anna-Lena ebenso genutzt hatte, um umzuziehen. Ich sah meinen großen Traum bereits zerplatzen, befürchtete schon das Allerschlimmste. Anna-Lenas Nachmieter hatten die Unterlagen einfach weggeschmissen. Sie waren in dem Chaos bei der Post verschwunden. Jemand hatte sie geklaut, um selber Au Pair zu werden! Es folgten mehrere mittelschwere Nervenzusammenbrüche meinerseits und einige Anrufe bei der Post, an welche sich die armen Mitarbeiter wohl noch schaudernd lange erinnern würden. Zu meiner unendlich großen Erleichterung waren sie aber von Erfolg gekrönt und die Unterlagen fanden ihren Weg zurück in meinen Briefkasten. Es konnte weitergehen.
Nachdem meine Nerven wieder einigermaßen beruhigt waren, zahlte ich 35 Euro für ein Vorbereitungstreffen in Köln. Die Gruppe war wieder relativ klein, außer mir waren nur noch zehn andere Mädchen und eine Leiterin da, genau jene Studentin, die mich im Januar bereits interviewt hatte und von meinem Englisch so begeistert gewesen war. Sie selber redete ebenfalls fast nur auf Englisch, um uns gleich begeistert zu demonstrieren, wie sich ihre Sprachkenntnisse von „ein paar Wörtern” verbessert hatten. Die meisten aus der Gruppe befanden sich nur leider halt noch auf dem Stand der paar Wörter und verstanden so gut wie kaum etwas. Als es daran ging, selber ein paar englische Sätze vorzulesen, scheiterten gleich mehrere auf beeindruckende Weise an dieser simplen Aufgabe. Langsam verstand ich, warum meine rudimentären Kenntnisse dieser Fremdsprache solche Begeisterung ausgelöst hatten. Die motivierte Leiterin Kerstin störte sich jedoch nicht daran, sondern nutzte das Treffen, um uns mit leicht verklärtem Blick von ihrem fantastischen Jahr vorzuschwärmen. Manchmal versank sie mitten beim Sprechen in andächtiger Stille und starrte verträumt in die Luft, was es unserer Fantasie überließ, sich auszumalen, welche wundervollen Dinge gerade vor ihrem inneren Auge vorbeizogen.
Man konnte ihr richtig anmerken, wie neidisch sie auf uns war, dass wir das alles noch vor uns hatten. »Den Einzigen, denen das Jahr nicht so gut gefallen hat, waren diejenigen, die wenig daraus gemacht haben und nicht gereist sind.« Sie waren also, ganz klar, selbst Schuld! So etwas würde mir ganz sicher nicht passieren, ich wollte so viel erleben und reisen wie nur möglich! Nach den ersten Schwärmereien standen natürlich die obligatorischen Kennenlernspiele auf dem Stundenplan, und wir sollten erzählen, warum wir gerne Au Pair werden wollten. Ein Mädchen meinte doch tatsächlich: »Ach, ich bin so ein großer Sex and the City Fan und möchte so wie die Mädels in New York leben!« Auf diese Aussage hin, erntete sie nur ein recht gequältes Lächeln von Kerstin.
Als Nächstes bekamen wir ein Handbuch, das wir gemeinsam durcharbeiteten. Unter anderem wurden wir in zwei Gruppen aufgeteilt und mussten Telefongespräche simulieren, wobei die eine Gruppe Fragen stellte, also die Gasteltern darstellte, und die andere darauf antworten sollten. Natürlich versuchte jede sich so gut wie möglich darzustellen, was das Ganze ein wenig in die Länge zog. Abgesehen von ein paar wichtigen Vokabeln lernten wir auch nicht so wahnsinnig viel Neues. Außer vielleicht, dass es wichtig war, vor allem höflich mit der Gastfamilie zu reden, aber das hätte man sich auch denken können. Kerstin legte eine geradezu bewundernswerte Ausdauer an den Tag und nutze jeden freien Moment, um ihr Loblied auf Amerika und das Au-Pair-Dasein weiterzusingen. Die Amerikaner seien ja so nett, man würde von wildfremden Menschen einfach so Komplimente bekommen, amerikanische Supermärkte wären das Paradies auf Erden und Autofahren ein Kinderspiel. Als sie dann aber auch noch behauptete, in Amerika gäbe es ja keinen Rassismus, war ich mir nicht mehr ganz so sicher, wie viel Glauben man ihren Worten schenken durfte. Als wir ihrer Lobhudelei nach acht Stunden entkamen, und nach Hause durften, waren wir, glaube ich, alle recht erleichtert.
Ein paar Tage später traf endlich meine Bewerbung bei Anna-Lena ein, immerhin hatte es beim zweiten Versuch geklappt und sie rief mich ganz begeistert an. »Herzlichen Glückwunsch zu der tollen Bewerbung, also das ist wirklich eine der Besten, die ich je gesehen habe! Sobald ich die Kopie von deinem Führerschein habe, geht das Ganze nach Berlin und dann können die Mitarbeiter mit der Suche nach einer Gastfamilie für dich beginnen. Mit dieser Grundlage wird das ganz sicher eine richtig, richtig tolle.« So etwas hörte ich natürlich gerne, da hatte sich die ganze Arbeit also doch gelohnt.
Es war Anfang März, als ich stolz meinen Führerschein in den Händen halten und die Kopie nachreichen konnte. Nun waren alle Hürden bewältigt und die Bewerbung auf dem Weg in die Hauptstadt.
Dachte ich zumindest. Doch ein paar Wochen später klingelte das Telefon und ich kam zum ersten Mal in den Genuss, mit den Agenturleuten aus Berlin zu reden. Eine eisige Frauenstimme meldete sich: »So, wir haben jetzt endlich deine Bewerbung und ich muss doch einmal fragen, warum du bei der Frage, ob du auch zu einer Familie einer anderen „Race” gehen würdest, Nein angekreuzt hast.« Ich war so perplex, dass ich gar nicht wusste, was ich darauf antworten sollte, schließlich war uns noch beim Vorbereitungstreffen versichert worden, wir könnten ankreuzen, was wir wollen, und müssten uns dafür nicht rechtfertigen. Weil mir auf die Schnelle nichts Besseres einfiel, brachte ich einfach dasselbe Argument hervor, wie die Betreuerin, die überall ein Nein gesetzt hatte. Denn immerhin sie musste es wissen, hatte sie ja nach eigener Aussage keine Probleme gehabt und eine super Familie bekommen. »Ich wolle einfach keine zu große Veränderung«, stammelte ich, obwohl ja eigentlich das Gegenteil der Fall war. Ich wollte nichts mehr als eine komplette Umkehrung meines Lebens.
Ich war gerade dabei, mit der Erklärung noch weiter auszuholen, wurde aber bereits durch ein verächtliches Schnauben unterbrochen. »Du weißt schon, dass du nach Amerika fliegst und dass das eine 180 Grad Umstellung bedeutet?! Wenn du so eine Einstellung hast, solltest du dir gut überlegen, ob das Programm wirklich das richtige für dich ist!« Das klang ja fast so, als stände ich kurz davor, als ein nicht vermittelbares Au Pair auf die Blacklist gesetzt zu werden. Etwas geschockt murmelte ich eine Antwort in den Hörer. Natürlich wüsste ich, dass das Jahr eine komplette Umstellung bedeute, und wäre mehr als bereit für eine Veränderung, würde mir diese sogar wünschen. Ja, ich würde schon denken, dass das Programm das richtige für mich sei.
Die Frau schien das allerdings ganz anders zu sehen und äußerte nun ernsthaft ihre Zweifel an meiner Tauglichkeit für das Au-Pair-Dasein. So langsam wurde es mir nun doch zu viel und ich wagte vorsichtig, das Vorbereitungstreffen zu erwähnen, bei dem uns versichert worden war, wir dürften konsequenzlos ankreuzen, was wir uns für das Jahr wünschten. Zudem unterstrich ich nochmals meine Bereitwilligkeit, mich an andere Verhältnisse anzupassen. Giftig kam indessen nur zurück, dass so ein Nein-Kreuz aber schon sehr ins Auge falle und meinen Matching Prozess erheblich verlängern würde, schließlich hätten sie viele Familien anderer Kulturen im Programm.
Schön, das jetzt zu erfahren, hätten solche Informationen nicht eigentlich ins Vorbereitungstreffen gehört? Also versuchte ich einzulenken, eine Verzögerung wolle ich auf keinen Fall, und meinetwegen sollten sie ein Ja ankreuzen. Anschließend setzte ich verzweifelt alles daran, die Frau davon zu überzeugen, dass ich keine Rassistin sei, indem ich versuchte ihr meine Beweggründe darzulegen. Ich wolle eben nur, wenn ich schon ein Jahr in den USA verbrachte, eine typisch amerikanische Familie kennenlernen. Ich klang wohl nicht besonders überzeugend und durfte mir anhören, dass Amerika ein „Melting Pot“ sei, die meisten Familien ihren Ursprung in anderen Ländern hätten und es keine typischen Familien gäbe! Ihre Stimmlage befand sich inzwischen weit unter dem Gefrierpunkt. Es klinge für sie ganz so, als würde ich mir eine deutsche Familie wünschen. Na, das ganz sicher nicht, die hatte ich ja schon!
Aber alle Versuche, mich zu erklären, scheiterten und das Gespräch endete äußerst unbefriedigend. Verunsichert starrte ich das Telefon an, fast nun selber schon davon überzeugt, dass ich über rassistische Ansichten verfügte und die Frau persönlich beleidigt hatte. Vorsichtshalber rief ich noch einmal Anna-Lena an und bat sie, bei der Agentur zu beteuern, dass ich keine Rassistin sei und bereit wäre für Veränderungen. Netterweise griff sie auch prompt zum Hörer, erklärte den Sachverhalt und verwies auf meine ausführliche Bewerbung. Das glättete die Wogen ein wenig, aber ich fragte mich unwillkürlich, ob das Neinkreuz-Mädchen auch so einen Anruf bekommen hatte. Aber vielleicht hatte ich auch nur das Pech gehabt, an die falsche Sachbearbeiterin geraten zu sein.
In den darauffolgenden Tagen erfuhr ich, dass sowohl jene Freundin, die mich überhaupt auf die Idee Au Pair zu werden, gebracht hatte, als auch jene, die mit mir bei dem Vorbereitungstreffen gewesen war, ihre Pläne geändert hatten. Erstere entschied sich kurzfristig, doch nicht zu gehen, da das Englisch, das man in den USA spreche, ein anderes sei, als das, was man an der Uni lerne, und somit wäre das Jahr irrelevant für ihr Studium und verschwendete Zeit. Ich sah das ein wenig anders, konnte ich mir doch nichts Nützlicheres vorstellen als ein Jahr, in dem man so viel Neues erleben, reisen und ein anderes Land kennenlernen konnte. Aber ihre Entscheidung stand fest. Die zweite Freundin hingegen bekam überraschend einen Ausbildungsplatz im Krankenhaus.
So blieb nur noch ich übrig und verbrachte die nächsten Wochen vorwiegend damit, alle paar Minuten voller Hoffnung meinen Online-Account zu checken, nur um jedes Mal die ernüchternden Worte: „No current match at this time” lesen zu müssen. Mit jedem Tag schwand meine Hoffnung mehr, vielleicht war ich inzwischen wirklich als unvermittelbar eingestuft worden.
Als ich schon anfing, nach Studienplätzen zu suchen, wurde ich mir endlich einer Mail von AP bewusst, die bis dato unbemerkt in meinem Postfach geschlummert hatte. Ich musste erst noch einige Dinge ausfüllen und bekam bereits am Morgen darauf, es war Ende April, mein heißersehntes erstes Match zugeteilt.